Zum internationalen Tag der Sprachentwicklungsstörung

„Die Grenzen meiner Sprache, bedeuten die Grenzen meiner Welt“

(Ludwig Wittgenstein)

Kinder sind unsere Zukunft! Genau deshalb meinte bereits Maria Montessori, dass es  Aufgabe des Erziehers ist, das Leben eines Kindes anzuregen, damit es sich frei entwickeln kann. Klingt einfach, ist es aber nicht immer.

Kinder sind wissbegierig, neugierig, experimentierfreudig, kontaktfreudig und wollen die Welt entdecken. Sie sind kleine Weltentdecker und begeistern sich für Dinge, die für uns Erwachsene selbstverständlich erscheinen. Worin liegt nun unsere Aufgabe, wenn Kinder ohnehin von selbst die Welt entdecken? Unsere Aufgabe als ErzieherInnen, Eltern, TherapeutInnen und dem engeren Umfeld liegt darin, unseren Kleinen dieses Angebot zu bieten und ihnen die dafür notwendige Freiheit zu geben.

Verlauf Sprachentwicklung bei Kindern

Die kindliche Sprachentwicklung wird oft als ein zeitlicher Ablauf von bestimmten Meilensteinen gesehen: Beginnend mit Vokalisationen, Gurrgeräuschen, weiter zur 1. und 2. Lallphase, bis dann die ersten Wörter kommen und dann als nächstes Zweiwortsätze gesprochen werden. Mit 3 Jahren sollte ein Kind in der Lage sein, komplexe Äußerungen zu tätigen. Es gibt eine klare Reihenfolge und Altersvorgaben wann ein Kind in welchem Ausmaß was können sollte. Dieses Entwicklungsraster ist durchaus hilfreich für Eltern und Therapeuten, um einen Richtwert zu haben. Trotzdem darf hierbei nicht außer Acht gelassen werden, dass Sprache mehr als nur das Sprechen von Wörtern und Sätzen ist. 

Sprache ist mehr als Sprechen

Sprache und Sprechen sind zwei komplett verschiedene Prozesse, wenn es um die Sprachentwicklung geht. Barbara Zollinger, eine bekannte Schweizer Logopädin und Psychologin, meinte dazu in ihrem Buch „Die Entdeckung der Sprache“ Folgendes:

„Entsprechend sind auch die Störungen des Sprechens und der Sprache klar zu unterscheiden. So ist es durchaus möglich, formal korrekt zu sprechen, ohne wirklich etwas zu sagen (zu haben), ebenso wie es vorkommt, dass ein Kind gute sprachliche Fähigkeiten hat, aber nicht sprechen kann.“

Es ist also wichtig zu verstehen, dass Sprechen allein nicht das Maß der sprachlichen Fähigkeiten eines Kindes ist. Die Entdeckung der Sprache ist eine auch die Entdeckung des „Ichs“ und eines Gegenübers, dem man etwas mitteilen möchte. Viele Kinder sprechen also auch nicht, weil sie die Bedeutung der Sprache noch nicht kennen. „Wozu sprechen, wenn Mama auch so weiß was ich will?“ (durch zeigen, Lautäußerungen usw.).

Voraussetzung für die Entdeckung der Sprache ist sowohl einerseits, sich etwas nicht Vorhandenes vorstellen zu können, andererseits der Person gegenüber etwas mitteilen zu wollen, von dem sie noch nichts weiß.  

….denn ein Wort, das ein Kind nicht spricht, ist ein Gedanke, den es nicht denken kann.

Wie unterstützt man Kinder beim Entdecken der Sprache?

In der Logopädie gehen wir diese Reise über das kindliche Spiel an. Oft wundern sich Eltern, die besorgt mit ihren kleinen Kindern zur Therapie kommen, weshalb wir Stunde für Stunde am Boden sitzen und spielen. Doch übers Spiel bieten wir dem Kind die Möglichkeit neue Vorstellungen aufzubauen, Handlungen Bedeutung zu geben, Sprache verstehen zu lernen und Selbstwirksamkeit kennenzulernen.

Deshalb ist es besonders in den ersten 3 Lebensjahren wichtig, die gesamte Entwicklung eines Kindes zu betrachten. Im Zollinger Entwicklungsprofil werden die Kompetenzen wiefolgt zusammengefasst und beurteilt:

  • Praktisch-gnostische Kompetenzen (Fein- und Grobmotorik)
  • Symbolische Kompetenzen (Spiel)
  • Sprachliche Kompetenzen (Sprachproduktion)
  • Sozial-kommunikative Kompetenzen (pragmatische Fähigkeiten, Selbst- und Fremdbild)

Veraltete Ansichten sehen eine Logopädische Therapie vor dem vierten Lebensjahr nicht notwendig. Die Praxiserfahrungen der LogopädInnen zeigen jedoch tolle Erfolge bei den ganz Kleinen. Man fängt sie in der prägendsten Phase auf und begleitet sie. Kinder, die erst viel später kommen tun sich nicht nur viel schwerer den Rückstand in ihrer Entwicklung aufzuholen, sondern sind außerdem auch einem viel größeren Druck von ihrem Umfeld ausgesetzt, bis zu Schulbeginn „geheilt“ zu sein.

Anzeichen für eine Sprachentwicklungsstörungen

Die Intuition der Eltern täuscht selten. Wenn also der Verdacht im Raum steht, dass ein Kind für sein Alter zu wenig spricht oder eventuell in die Gruppe der Late Talker gehört (Kinder mit zwei Jahren, die weniger als 50 Wörter aktiv sprechen), dann gilt es diesem Gefühl nachzugehen.

Folgende Punkte könnten Hinweise für eine Sprachentwicklungsstörung sein:

  • später Sprechbeginn (erste Worte mit zwei Jahren)
  • fehlender Wortschatz (Kind spricht zwei Jahren weniger als 50 Wörter –>Later Talker)
  • vermindertes Sprachverständnis
  • eingeschränkte kommunikative Fähigkeiten

Um objektiv zu überprüfen, ob ein Kind in die Gruppe der Later Talker gehört, können Eltern die kostenlose Wortschatzliste (auch SBE-2-KT genannt) herunterladen. Diese wurde von der Pädagogischen Hochschule in Heidelberg entwickelt und umfasst 57 Wörter umfasst. 

Hier gilt die Devise: Lieber zu früh zur Therapie, als zu spät!

Zum Abschluss noch ein Zitat, das betonen soll, dass jedes Kind sein eigenes Tempo hat und gut ist, so wie es ist!

„Kinder sind wie Schmetterlinge im Wind, Manche fliegen höher als andere, aber alle fliegen so gut sie können. Vergleiche sie nicht untereinander, denn jedes Kind ist einzigartig, wundervoll und etwas ganz Besonderes!“